Gramstätters Verein

Das Geschäft mit der Selbstbestimmung

Satire von Konstantin Kaiser

„Selbstbestimmtes Leben“ hieß der gemeinnützige Verein, den Gramstätter vor einem Jahrzehnt ins Leben gerufen hatte. Der Verein verrichtete in der Hauptsache unauffällige Lobbyarbeit für die vieldiskutierte Tötung auf Verlangen, die rechtlich erst nach einem langen juristischen Gefecht möglich wurde. Kommissionen in den vom Verein mitbetreuten oder durch Vereinsempfehlung zustande gekommenen Fällen konnte man nur sehr diskret in Anspruch nehmen, sonst hätte es wohl geheißen, der Verein schicke die Leute zur Tötung in die Schweiz, um als Erbschleicher daran zu profitieren.

Auftrieb erhielt der Verein durch die sich immer deutlicher abzeichnende vermögenssichernde Wirkung eines rechtzeitigen Ablebens, stiegen doch die Kosten lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen, von MedizinerInnen zynisch „Endphaseverbrechen“ genannt, in den letzten Jahren exponentiell an. Hier ereignete sich das Paradox, dass mit dem Fortschritt von Wissenschaft und Technik im medizinischen Bereich alles stets kostspieliger und kaum je wohlfeiler wurde. Die Öffentliche Hand sah sich zunehmend mit Anregungen zu Regressansprüchen, zu Rückgriffen auf das Vermögen langzeitspitalisierter schwer Leidender konfrontiert. Die Parole: Sichern Sie Ihren Enkeln und Kindern das rechtmäßige Erbe, stieß durchaus auf offene Ohren.

Am Prinzip der Freiwilligkeit war natürlich nicht zu rütteln. Wo aber ein freier Wille ist, kann Motivation helfen. In Zusammenarbeit mit einer angesehenen großen Versicherung hatte der Verein „Selbstbestimmtes Leben“ schon immer ein Ansparmodell für Tötung auf Verlangen“ in einer Standard- und einer Komfortversion inklusive Beisetzung angeboten. Das Modell wurde nun in Gesprächen mit der privaten Pensionsversicherung und privaten Krankenversicherungen aktualisiert. Die staatliche Pensionskasse war aus kurzsichtigen parteipolitischen Bedenklichkeiten aus dem Gesprächsforum bald wieder ausgestiegen. Alles drehte sich um die eine Frage, wie die sich ständig erhöhende Lebenserwartung der Versicherten ein vernünftiges Zusammenarbeiten weiterhin überhaupt ermögliche. Dr. Gramstätter war mutig auf den springenden Punkt zu sprechen gekommen. Wie kann aus der freiwilligen Zustimmung zur Tötung auf Verlangung die Verpflichtung, diese Tötung auch vollziehen zu lassen, abgeleitet werden?

Denn es verhalte sich ja so, legte Gramstätter dar und entschuldigte sich, einmal aussprechen zu müssen, was die Leute ohnehin dächten: Sehr viele Menschen, ob privat oder bloß sozialgesetzlich versichert, litten sehr unter ihrer schmalen Pension. Ihnen könnte man, besonders in Zeiten zunehmender Inflation, ein Angebot machen, das versicherungsmathematisch sinnvoll sei: Eine beträchtliche Erhöhung ihres Bezugs, wenn sie einen befristeten Bezug vereinbarten, das heißt bereit waren, zu einem absehbaren Zeitpunkt fristgerecht aus dem Leben zu scheiden.
Dass sich die Vertragserfüllung nicht immer ohne weitere Sanktionen erzwingen lassen würde, sei vorauszusehen. Daher sollte der Vertrag immer auch die heikle Klausel einschließen, dass es im Falle der Nichteinhaltung der zugesagten Tötung auf Verlangen zulässig sei, die Todesflüchtlinge sozusagen zu konskribieren, ihr Hab und Gut für verfallen zu erklären und eine Prämie auf ihre Ergreifung, tot oder lebendig, auszusetzen.
Es verstand sich von selbst, dass die Erhöhung des Pensionsbezuges von der Länge der Frist, die sich der Betroffene ja selbst einräumen konnte, abhängig war. Hatte man die Tötung auf Verlangen erfolgreich als Vermögenssicherung propagiert, so nannte man die freiwillige Selbstbefristung jetzt Pensionsanspruchssicherung, die es auch Menschen mit geringerer Lebenserwartung ermögliche, die ihnen rechtmäßig zustehende Pension in angemessenem Umfang zu genießen, Ein Recht, das nicht nur den Lang- und Zählebigen, die auf einer Minipension dem 100. Geburtstag entgegendämmerten, zustehen sollte.

Fragment aus einem Roman. Publiziert am 10. September 2025 anläßlich des Welttags der Suizidprävention.